Geschrieben von Adrian R.Ich freue mich auf eine sachliche diskussion aller Fehler. Scheinbar sind dir einige aufgefallen.
In der Tat. Ganz ohne Polemik kann man aber kaum zum Text Stellung nehmen, weil einige Behauptungen schlichtweg erlogen und selbst polemisch sind.
Hier der Text mit meinen Anmerkungen (fett):
Die Neuordnung der Leitstellen ist nichts für Farbenblinde. Da gibt es die blauen Leitstellen von der Polizei, die roten von der Feuerwehr, die weißen für das Gesundheitswesen und im Hintergrund die grauen für technische Hilfsleistungen - nicht für die Bevölkerung direkt erreichbar.
Graue Leitstellen ist ein Fanatasiebegriff, bei den vermuteten Servicestellen handelt es sich überhaupt nicht um Leitstellen im Sinne das Artikels.
Die meisten Leitstellen jedoch sind bunt. So gibt es beispielsweise keine rein weißen Leitstellen, die ausschließlich für Gesundheitsleistungen zuständig sind. Alle sind irgendwie mit den roten Leitstellen verbandelt, also rot-weiß. Und manche, die sich integriert nennen, sind noch bunter.
Die Eckpunkte der Bundesregierung für eine Neuordnung der Notfallversorgung, die am 18. Dezember 2018 öffentlich gemacht worden sind und die im April 2019 als Referentenentwurf vorgelegt werden sollen, werden für die gesundheitspolitische Szene Anlass sein, sich mit dieser Farbenlehre vertraut zu machen. Der erste Wurf, der dem Vernehmen nach politisch und innerministeriell noch nicht allzu weit abgestimmt ist, sieht zum einen die Gründung sogenannter Integrierter Notfallzentren (INZ) und zum anderen Gemeinsame Notfallleitstellen vor. Der Text ist kursorisch gehalten und orientiert sich weitgehend an den Vorschlägen des Sachverständigenrates.
In den gemeinsamen Leitstellen sollen die bisher getrennten Rufnummern 112 und 116 117 zusammenlaufen und die Anrufe einer Art Telefontriage zugeführt werden. Damit der Bund die erforderlichen Regelungen zur Organisation treffen kann, ist eine Grundgesetzänderung vorgesehen. Bemerkenswert! (Vielleicht erledigt man die überfällige Grundgesetzänderung zur Krankenhausplanung gleich mit.) So ganz einfach dürfte die Gemeinsamkeit der Leitstellen nicht herzustellen sein, sind diese doch fest in kommunalen Strukturen verankert. Die Übersicht in Wikipedia (Stichwort: Liste der BOS-Leitstellen) zeigt immerhin 246 Leitstellen, die alle völlig unterschiedlich strukturiert sind. Kenner sind in der Lage, aus diesem Wirrwarr noch die Grenzen der alten Besatzungszonen nach dem Zweiten Weltkrieg zu rekonstruieren.
Die Struktur der Leitstellen ist im Wesentlichen ähnlich. Träger der Leitstellen für Feuerwehr und Rettungsdienst sind in fast allen Ländern die Kreise (Landkreise, kreisfreie Städte bzw. Stadtkreise). Teilweise haben sich die Kreise zu Zweckverbänden zusammengeschlossen (freiwillig oder aufgrund gesetzlicher Vorgaben). Die Träger können die Leitstellen selbst betreiben oder jemanden damit beauftragen (z. B. einen anderen Kreis oder eine HiOrg). Lediglich in Baden-Württemberg und im Saarlanmd gibt es abweichende Konstrukte. Wenige Leitstellen für Feuerwehr und Rettungsdienst sind räumlich und/oder technisch mit einer Leitstelle so eng verzahnt, dass sie als kooperative Leitstelle bezeichnet werden. In keinem mir bekannten Fall gibt es bei den kooperativen Leitstellen eine gemeinsame Disposition und Einsatzunterstützung.
Drei Probleme stellen sich:
Erstens die Zahl der Leitstellen ist um den Faktor fünf bis zehn zu hoch. Wir haben eine Art vordigitale Struktur, die man beim Übergang des Rettungswesens aus dem Rechtskreis der Katastrophenabwehr nicht ins Gesundheitswesen übernehmen sollte.
Der Gesetzgeber verpflichtet in vielen Ländern den Kreis (s.o.) zur Einrichtung einer Leitstelle. 294 Landkreise + 107 Stadtkreise = 401 Leitstellen für Feuerwehr und Rettungsdienst, zzgl. einer vergleichbaren Zahl für die Polizei wären also rund 800 Leitstellen als rechtliche Obergrenze. Wenn es nunmehr nur 246 Leitstellen gibt, ist dies keinesfalls eine zu hohe Anzahl. Jede Forderung nach einer Leitstellenkonzentration ohne gesetzliche Vorgabe ist erst einmal ein von eigenen Interessen getragene Vorstellung, mehr jedoch nicht. Ohne eine konkrete Aufgabenzuweisung mit klaren Kompetenzen ist für Forderung der Zusammenlegung von Leitstellen für mehrere Kreise rechtlich und fachlich unsinnig.
Zweitens ergeben sich schwierige Kostentrennungsprobleme. Pointiert formuliert: Die Krankenkassen sollten nicht gezwungen werden, die Finanzierung der Feuerwehrfeste zu übernehmen.
Was haben Feuerwehrfeste mit Leitstellen zu tun? Typischerweise werden Leitstellen bei getrennter Zuständigkeit für Feuerwehr und Rettungsdienst eher durch den Feuerwehrbereich subventioniert. In Baden-Württemberg ist eine hälftige Kostenteilung üblich bei einer Einsatzverteilung von 80 % Rettungsdienst zu 20 % Feuerwehr.
Und drittens sollten die Aufgaben der Leitstellen etwas genauer eingegrenzt werden. Schon bei der Lektüre des Sachverständigengutachtens staunte man über die vielfältigen Aufgaben dieser Zentren: Telefontriage, Koordination des Rettungsdienstes, telefonische ärztliche Beratung, Terminvergabe bei niedergelassenen Ärzten, Koordination von ärztlichen Hausbesuchen, Pflegedienstbesuchen und Palliativ Care Teams, Hallo! Gehts nicht ne Nummer kleiner?
Die flächendeckende Einrichtung von integrierten Notfallzentren, der zweite Reformansatz, ist nicht weniger ambitioniert und bei näherer Betrachtung nichts weniger als die Einrichtung eines neuen Sektors mit eigener Organisation und eigener Vergütungssystematik. Der gemeinsame Tresen von Kassenärztlicher Vereinigung (KV) und Krankenhaus ist inzwischen allgemeiner Reformkonsens. Aber braucht man dafür einen neuen Rechtskreis?
Das hat mit Leitstellen nichts mehr zu tun. Eine Ausweitung der Leitstellenaufgaben bei gleichzeitiger Vereinheitlichung der Erreichbarkeit (112, 116117; wo bleibt eigentlich die 19222?) wird eine prioritätengerechte Notrufabfrage immer weiter erschwert. Hoch qualifizierte Leitstellendisponenten werden mit fachfremden Aufgaben belastet.
Was dem gesamten Reformentwurf völlig fehlt, ist eine gewisse bundespolitische Strukturierung. Nach gegenwärtigem Stand scheint nur gesichert, dass das Rettungswesen wie bisher überall anders funktioniert und Krankenwagen weiterhin an der Landesgrenze, wenn nicht sogar an der Kreisgrenze, Halt machen. Eine digitale Gesamtstruktur ist doch längst überfällig: Während die minutengenaue Paketverfolgung inzwischen millionenfach bundeseinheitlich funktioniert, gibt es in dieser Republik nicht einmal eine verlässliche Erfassung der Zahl der Rettungsfahrten, geschweige denn ein System, um zu erfassen, welche Krankenhäuser angefahren wurden.
Während Tracing & Tracking bei DHL oder noch schlechter umgesetzt Hermes überhaupt nicht genau funktionieren, ist eine GPS-gestützte Einsatzmitteldisposition im Rettungsdienst längst technischer und organisatorischer Standard. Ebenso die elektronische Übermittlung von Aufträgen und Einsatzprotokollen.
Erste Ansätze, wie zum Beispiel das in Hessen entwickelte System IVENA, verbreiten sich nur mühsam. Wenn das gesamte Reformwerk etwas mehr sein soll als die Fortführung überkommener Strukturen verbunden mit einer Kostenverlagerung auf die Krankenkassen (der Strukturfonds lässt grüßen), dann braucht es ein gerüttelt Maß an einheitlicher Strukturierung, so wie jüngst die Notfallstufen im Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) erstmals einheitlich definiert worden sind.
Eine wirkliche Reform des Rettungswesens wird die ganze Rücksichtslosigkeit des Ministers erfordern. Aber die Sache ist es wert, endlich angefasst zu werden. Noch sind die bunten Leitstellen der Stolz der Landräte. Die politische Debatte darüber verspricht ähnlich bunt zu werden.
Zuallererst sind die Integrierten Leitstellen eine Pflichtaufgabe für die (meisten)Landräte.
Gruß, Stefan
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Geändert von Stefan H. [29.01.19 14:35] Grund: = nur für angemeldete User sichtbar = |