Mal ein anderer Ansatz: Angenommen, der Konsenz hier ist: Wir wollen viel mehr Übungen unter größtmöglicher Berücksichtigung von Mangelverwaltung (personell/materiell), Fehlern, Überforderung bis hin zur Aufgabe der Lage.
Wieviel davon erlauben wir uns dann nachfolgend im Einsatz?
Denn der Umstand, dass längst nicht immer alles 100%ig perfekt läuft, wird uns auch in Reallagen von der Türöffnung bis zur Weltuntergangslage immer wieder begegnen. Das ist natürlich umso schwieriger zu akzeptieren, je größer die Übungslage. Wenn wir bei der Übungstüröffnung mit der falschen Schraube anfangen, und deshalb umentscheiden auf Zerstörung eines Fensters, juckt das keinen, auch nicht, wenn wir im Übungshaus dann in der Nachbarwohnung landen. Wenn wir aber mit 500 Leuten Waldbrand (groß) üben, und sich dann unter diesen und ein paar Beobachtern rumspricht dass der Ortsteil Pickelhintern vermutlich abgebrannt wäre, weil das Magnetschildchen von der Lagekarte verrutschte...
Wenn wir das also in Übungslagen akzeptieren und quasi zur Grundvoraussetzung einer gelungenen Übung erklären, müssen wir dann nicht auch die entsprechende Akzeptanz im Einsatzfall überdenken? Dafür üben wir ja, und aus diesen Erfahrungen her rührt doch der Gedanke, anders zu üben, also kann man hier kaum einen nennenswerten Unterschied machen.
Oder?
Und dann weiter, außerhalb unserer eigenen Blase: Pressebericht zur Übung "Staatliche Rumpelrettung nach Vulkanausbruch neben dem gefahrstofflagernden Altersheim am Urenkelbesuchstag":
"Der Krisenstab und die Übungsleitung stellen in der Auswertung der Übung übereinstimmend fest, dass der Anteil der Bevölkerung, der in einer solchen Lage frühzeitig aufgegeben werden müsste, mit X% noch etwas höher liegt als zunächst bei der Planung ursprünglich vermutet.
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Der tatsächliche Kräfteansatz der Hilfsorganisation Y reicht leider nicht aus, um die Aufgabe Z in der erforderlichen Zeit/Menge/Güte zu erledigen, und dieser Mangel kann ohne deutliche Steigerung ehrenamtlichen Engagements auch absehbar nicht erhöht werden. Interessenten werden gebeten, sich bei ... zu melden.
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Der Anteil der Rettungsfahrzeuge, die pannenbedingt ausfallen, ist in der Anzahl der insgesamt vorgehaltenen Fahrzeuge bisher nicht berücksichtigt. Ein Konzept zur Bereitstellung und Verteilung der dazu zusätzlich notwendigen Haushaltsmittel wird gemeinsam mit 23 anderen irgendwie zuständigen Stellen in Arbeitsgruppen zu erarbeiten sein.
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Die perfekte Einpendelung der Warntextlänge zwischen halber SMS, 1395 Cell-Broadcast-Zeichen und 10seitigem Warndetailbericht bei gleichzeitiger empfängerorientierter Verteilung an Otto Normalbürger, Straßen-Kleber-Kevin und Prof. Dr. V. Ulkanolog gelingt dem Staat weiterhin nicht und ist auch zukünftig höchst unwahrscheinlich. Die Gesellschaft wird gebeten, sich an der Stelle aufs Wesentliche zu konzentrieren und dem Staat zu vertrauen, damit der aufzugebende Anteil der Bevölkerung im Ernstfall nicht noch höher ausfallen muss.
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Die Rückfragen, ob es Oma Hilde im Harz auch erreichen könnte oder ob man trotzdem später noch den Sperrmüll rausstellen könnte, schränkten die eingerichteten Hotlines und Notrufleitungen unnötig ein.
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Abschließend stellt der zwischenzeitlich ausreichend notfallseelsorgerisch versorgte Einsatzleiter fest, dass das Übungsszenario einerseits nicht vollständig als reale Schadenslage ausgeschlossen werden kann, es andererseits aber leider auch unrealistisch ist, eine solche Lage perfekt zu beherrschen.
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Die Bevölkerung wird um Kenntnisnahme und Akzeptanz der staatlichen und menschlichen Schwächen gebeten und insbesondere ersucht, wo immer möglich auch ihren Beitrag zu leisten.
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Einzelne Protagonisten können für das Verfehlen des Übungsziels, da dies schlicht die Summe vieler kleiner Mängel, Realitätsbedingungen und Fehler ist, nicht gevierteilt werden."
Ich weiß nicht, ob "Bis auf den Schlauchplatzer, der für einige Lacher sorgte, lief alles wie am Schnürchen. Bürgermeister und Minister dankten den Beteiligten dreimal und bissen fröhlich ins Käsebrötchen. Und jetzt weiter zum Fussball." nicht auch (oder gerade?) bei der Bevölkerung das beliebtere Übungsfazit ist. Und man dort nicht auch will, dass die Übung dann auch zum vorgefertigten Pressetext passt. Stellt man ein Bild des geplatzen Schlauchs in die asozialen Netzwerke, gibts 100 Lach-Smilies und eine muntere Diskussion über die mangelhafte Schlauchpflege, das schwindende Vertrauen in die Schlauchnutzfähigkeiten der Wehr und überhaupt das Staatsversagen beim Schlaucheinkauf. Die kriegen auch Smilies, und beim nächsten Schlauchplatzerbild lachen nur noch 90 Follower, der Rest sind Wechselwähler.
Also wieviel Fehler-/Ausfallquote erlaubt uns die Gesellschaft? Und wieviel wir uns dann selber, nicht nur in der ÖA, sondern tatsächlich im Übungs- und dann ehrlicherweise bitte auch Einsatzgeschehen?
"Experten sind Leute, die 99 Liebesstellungen kennen, aber kein einziges Mädchen"
(Didi Hallervorden)
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