Hallo zusammen,
formalrechtlich hat Daniel vollkommen Recht, wenn Sonderrechte in Anspruch genommen werden, dann ist der Fahrzeugführer für dieses Verhalten, für das er ganz konkret sich auf ein Sonderrecht beruft von den Vorschriften der StVO befreit, also auch vom § 1 StVO. Dieser wird durch § 35/VIII StVO ersetzt.
Jürgen hat hier aber bereits richtig erkannt, dass diese Sichtweise für den Anwender aus den Reihen der Sonderrechtsfahrer (z.B. Maschinisten der Feuerwehr) kompliziert werden kann und die Vereinfachung "§ 1 StVO gilt immer" für den Anwender einfacher ist und in aller Regel voll und ganz ausreicht.
Nachdem das ein Fachforum ist, ganz kurz erklärt, warum die Unterscheidung im Nachhinein eine sehr Rolle spielt:
Wenn der Sonderrechtsfahrer z.B. einen Rotlichtverstoßt (> 1 Sekunde) begeht stünde ja Aufgrund des Verstoßes gegen § 37 StVO laut Bußgeldkatalog ja generell ein Fahrverbot im Raum. Das Fehlverhalten des Fahrers war ja aber nicht, dass er das Rotlicht - das ja bereits länger als eine Sekunde da ist und ja eigentlich nicht zu übersehen ist - übersehen, oder missachtet hat, sondern "nur" in einer schwierigen Situation ein anderes Fahrzeug übersehen hat. Das würde wie gesagt ein Regelfahrverbot bedeuten. Laut § 35/I ist der Fahrer aber von den Vorschriften der StVO (eben auch einschließlich § 1/II StVO) befreit. Damit verstößt er jetzt "nur" gegen § 35/VIII StVO. Hierfür sieht der Bußgeldkatalog nur einen Regelsatz in Höhe von 35 vor.
Achtung, das ist natürlich kein Freifahrtschein, gerade besonders Hohe Geschwindigkeitsübertretungen mit Privat-Pkw werden häufig als sogenannter atypischer Fall bewertet und sich beim Bußgeld an der Höhe des Bußgeldes für den Geschwindigkeitsverstoßt (einschließlich Fahrverbot) orientiert.
Fakt ist aber, dass die 35,- den Regelsatz für Verstöße gegen § 35 VIII StVO darstellen und um zu erhöhen besondere Umstände hinzu kommen müssen. Wäre die Regelung nicht so, wäre es genau anders rum, dann wäre jeweils der Satz des originären Verstoßes der Regelsatz und es bräuchte besondere Umstände die ein Abweichen nach unten ermöglichen. Und seien wir mal ehrlich, es werden natürlich auch oft Fehler von den Blaulichtfahrern gemacht, aber es sind oft auch schwierige Verkehrssituationen und es kommt oft auch ein Fehlverhalten des anderen Verkehrsteilnehmers hinzu. Da ist es doch ganz gut, dass nicht automatisch bei jedem Rotlicht überfahren ein Fahrverbot über einem schwebt, wenn es doch zu einem (vielleicht auch nur kleinen) Zusammenstoß kommt.
Zusammenfassend:
In der Anwendung als Fahrer kommen § 1 StVO und § 35 VIII StVO aufs selbe raus und die Faustformel "§ 1 StVO gilt immer" ist ein guter Ansatz das notwendige Verhalten zu erklären.
Formalrechtlich wird auch § 1 StVO durch § 35/VIII StVO ersetzt.
Wir können also die Erläuterung von Daniel nicht als unglücklich oder gar falsch abtun. In einem Fachforum müssen wir schon differenzieren. Daniel hat Recht, die Detailtiefe ist für die Breitenausbildung bei uns nicht geeignet. In meinen Augen für ein Fachforum aber sehr wohl ein interessantes Hintergrundwissen.
Zu den gezeigten Videos aus dem Ursprungspost ganz kurz:
Zu der Situation hätte es in meinen Augen nie kommen dürfen. Die hier eingesetzten Sicherungsposten waren Polizeibeamte. §§ 44, 36 StVO sind Aufgabe und Befugnis für die Polizei zu regeln. Der Polizist an der Kreuzung hätte nicht nur früher eingreifen können, sondern regelnd eingreifen müssen. Diese Regelung wäre für die Fahrzeuge unter Sonderrecht dann auch bindend! § 36 StVO ist nämlich laut VVW tatsächlich die einzige Vorschrift, von der § 35 StVO nicht befreit. Kann aber auch direkt aus dem Verordnungstext abgeleitet werden ("...gehen allen...Regeln vor,...").
Wenn wir mal davon ausgehen, dass in der Situation zwei Fahrzeuge mit Blaulicht und Horn aufeinander zu kämen, die beide auch Sonderrecht in Anspruch nehmen (es gibt ja die seltsame Situation, dass es Fahrzeuge, z.B. der Wasserrettung, geben kann, die Sondersignal, z.B. zum Erhalt bedeutender Sachwerte, in Anspruch nehmen können, die aber dem Rettungsdienst angehören und damit hierfür gem. § 35/V StVO kein Sonderrecht haben) gilt damit § 35/VIII StVO. Dieser wird sich aber wieder an den vor Ort gültigen Regeln messen. Wenn hier kein Polizist da ist, wären das erst mal die dort aufgestellten Verkehrszeichen bzw. ich glaube auf dem Bild eine Lichtzeichenanlage zu erkennen. Hier sollte halt der, der Rot hat besonders vorsichtig sein.
Schönen Gruß
Stefan
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