Geschrieben von Jürgen G.Aber was meinst du, habe ich da was verpasst?
Ja.
Den Reaktorunfall. ;-)
Der hat sich nämlich einfach nicht an die populäre Vorstellung gehalten, irgendwo weit hinten in der Sowjetunion BUMM zu machen und sein Inventar lokal zu verteilen. Die tatsächliche Verteilung des Cs137 sah so aus:
Es hatte tatsächlich BUMM gemacht, 2x Druckgefäßzerknall mit einer kilometerhohen Wolke, die mitten in der Nacht niemand sah. Anschließend aber gab es einen Graphitbrand, gestützt durch die Hitze radioaktiver Zerfallsprozesse, der Reaktorinventar bis in hohe Luftschichten beförderte. Anfangs schien das Ganze mehr und mehr unter Kontrolle zu kommen: Während am ersten Tag 450 Peta-Bq den Reaktor verließen, ging das runter bis auf deutlich unter 100, stieg danach aber von Tag zu Tag stetig an, bis am 10. Tag wieder 300 Peta-Bq erreicht waren. Dann haben die Liquidatoren es unter Hintanstellung des Eigenschutzes geschafft, das Ding auszumachen.
Während dieser 10 Tage herrschte in Europa wechelhaftes Wetter, das Reaktorinventar wurde hierhin und dorthin getrieben, und dann kam es letztendlich darauf an, ob es irgendwo nur durchzog oder abregnete.
Danach lagen 4,8% des Cs137 aus Tschernobyl in Finnland, 4,6% in Schweden, 3,1% in Norwegen, jeweils 2,4% in Österreich und Rumänien, 1,8% in Deutschland. Der deutsche Anteil liegt ganz überwiegend im südlichen Teil von Bayern und Baden-Württemberg. Plus ein paar Flecken, wo es damals Starkregenfälle gegeben hat.
Für Äcker und Wiesen ist das längst, längst uninteressant, das Cäsium hat sich nach unten verdünnisiert. Auch für viele Wälder. Aber in einer beträchtlichen Anzahl von Wäldern, mit dicker Humusschicht und saurem Boden, da ist Tschernobyl noch präsent. Bzw. knapp die Hälfte davon, wegen 30 Jahre Halbwertszeit. Und das ist sehr viel relevanter als die Frage, ob es irgendwo in der Ukraine am falschen Ort brennt. Was dort brennt, ist nicht mehr in der Lage, riesige Mengen radioaktiver Stoffe in die Stratosphäre zu befördern.
Wenn es in Deiner Region in einem jener Wälder brennt, wo man immer noch manche Wildschweine für die Müllverbrennung schießt (wegen zu vieler Bequerel pro Kilo), dann könnte es sich lohnen, Dein Meßgerät auszupacken. Besonders dann, wenn da nicht nur ein Bodenfeuer zärtlich durch den Wald brennt und die Humusschicht in Frieden läßt, sondern dann, wenn richtig Wind geht und ein Vollfeuer auch die Humusschicht wegbrennt. Danach lernt logischerweise auch das Cäsium wieder das Fliegen. Vielleicht nicht so sehr, daß rundum in den Ortschaften relevante Mengen aufschlagen, aber Deine Nase ist nun mal bedeutend dichter dran.
Hans-Joachim
Quelle:
M De Cort, G Dubois, Sh D Fridman, M G Germenchuk, Yu A Izrael, A Janssens, A R Jones, G N Kelly, E V Kvasnikova, I I Matveenko, I M Nazarov, Yu M Pokumeiko, V A Sitak, E D Stukin, L Ya Tabachny, Yu S Tsaturov, S I Avdyushin:
Atlas of Caesium 137 deposition on Europe after the Chernobyl accident.
Luxembourg, Office for Official Publications of the European Communities 1998
Wenn wir später einmal zurückblicken auf Corona, dann werden wir uns lachend in den Armen liegen und sagen: "Das waren vielleicht verrückte 12 Jahre!"
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