Hallo Ulrich
Wenn Du von Anwärtern sprichst, dann meinst Du vermutlich die Ausbildung bei einer BF oder hauptamtlichen Feuerwehr. Wie in den meisten Firmen ist dies eine Frage der Firmenphilosophie und der Stellung der Führungskraft. Im folgenden beziehe ich mich ausschließlich auf den beruflichen Kontext.
Wenn man mit der förmlichen Anrede des "Sie" Respekt erzeugen will, dann wird es nur in der Anfangszeit (z.B. Ausbildungszeit) wirken. Je länger man sich kennt, desto mehr wird der Respekt durch das persönliche Wirken entschieden. Respekt ist in diesem Zusammenspiel übrigens keine Einbahnstraße. Vielmehr ist es eine gegenseitige Wechselwirkung. Entscheidend für den Respekt sind vielmehr Vertrauen, Wertschätzung und die Reflexion des eigenen Handelns.
Mit dem "Sie" kann man aber Abstand erzeugen. Abstand kann für beide Seiten in manchen Fällen hilfreich sein und in anderen Fällen wieder störend wirken. Bei schwerwiegenden Entscheidungen und Maßnahmen (Disziplinarmaßnahmen, Entlassungen etc.) kann Abstand für eine Führungskraft hilfreich sein. Zum einem schafft es den Abstand, eine Entscheidung losgelöst von der persönlichen Beziehung zu treffen. Andererseits kann man als Führungskraft unter Umständen mit Abstand besser mit einer notwendigen Entscheidung leben.
Vertrauen hingegen kann man mit dem "Du" aufbauen. Vielfach nutzt man unter Feuerwehrkollegen deswegen das "Du". Dieser Beruf lebt von Vertrauen. Das "Du" schafft eine persönliche Nähe, die wiederum für eine Führungskraft im Berufsalltag wichtig sein kann. Eine echte Fehlerkultur kann man nur mit gegenseitigem Vertrauen erzielen. Und zu diesem Vertrauen kann das "Du" ein wichtiger Schritt sein.
Manchmal hängt es aber auch von den Menschen und dem sozialem Umfeld ab. Die Sozialisierung des Einzelnen ist dabei ein wichtiger Faktor. In kreativen Berufen wird vielfach das "Du" verwendet und auch erwartet. Es gibt wiederum andere Menschen, für die das "Du" beim Umgang mit der Führungskraft ein Problem darstellt. Für Sie ist es wichtig, dass in ihrer Beziehung zur Führungskraft das "Sie" genutzt wird. Das hat aus meiner Sicht aber weniger mit Respekt als mit Abstand zu tun - vielleicht sogar auch mit Wertschätzung.
Die Entscheidung, ob das "Sie" oder "Du" besser ist, kann man also nicht pauschal beantworten. Eines gilt es aber zu beachten, wenn man sich für das "Du" entschieden hat. Es gibt meist kein Zurück mehr. Ein zurück zum "Sie" ist dann der Todesstoß für die persönliche und berufliche Beziehung. Vom "Du" zum "Sie" ist einer verbalen Ohrfeige gleichzusetzen.
Mischformen von "Du" und "Sie" in einer Hierarchieebene wirken oft verstörend. Schnell tauchen Fragen auf, wieso man mit der/dem einen per Du ist und warum man mit der/dem anderen beim "Sie" verbleibt. Das "Du" kann dann adeln, oder auch nicht. Man darf sich gerne fragen, ob ein derartiger Adelstitel in der Beziehung hilfreich ist oder doch nur Unfrieden stiftet.
Ich persönlich habe meine Wurzeln in der IT-Entwicklung. Also einer Welt mit Ruhezonen, lockeren Umgangsformen und dem dazugehörigen "Du". Daher nutze ich gerne das "Du". Lediglich im Umgang mit Vorbereitungsdienst kommt bei mir das "Sie" zur Anwendung. Dies hat aber nichts mit Respekt zu tun. Vielmehr ist es bei uns Tradition, dass man ab gewissen Ausbildungsabschnitten das "Sie" verliehen bekommt. Dieses Spiel spiele ich mit, mehr nicht. Aber spätestens am Ende der Ausbildung ist es mit dem Sie vorbei. So ist es eben manchmal mit Traditionen.
Letztendlich muss jeder selbst entscheiden, welcher Weg der Richtige ist. Eine pauschale Antwort kann und möchte ich dafür aber nicht geben.
Gruß
André
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Geändert von André V. [10.02.16 14:33] Grund: = nur für angemeldete User sichtbar = |