Rubrik | Freiw. Feuerwehr |
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Thema | Einige unangenehme Wahrheiten... | 150 Beiträge |
Autor | Ulri8ch 8C., Düsseldorf / NRW | 504586 |
Datum | 21.08.2008 09:14 MSG-Nr: [ 504586 ] | 144476 x gelesen |
Hallo,
der eine oder andere mag sich erinnern. Ich hab das schon mal veröffentlich, war glaub ich 2004....
Einige unangenehme Wahrheiten…
Wenn man so die Diskussionsrunden in der Fachwelt verfolgt, dann drehen wir uns (mal wieder) hauptsächlich im Kreis um uns selbst. Ich habe mich daher entschieden, diese Kolumne zu benutzen, um auf einige – leider unangenehme – Probleme hinzuweisen, die zwar grundsätzlich seit Jahren bekannt sind aber immer noch der Lösung harren.
Von einer ausreichenden Tagesalarmsicherheit kann an vielen Standorten schon lange nicht mehr gesprochen werden. Dabei darf man nicht nur die Zahl der insgesamt eintreffenden Einsatzkräfte betrachten, sondern muss diese in der Qualität werten: z.B. wie viel Atemschutzgeräteträger, Maschinisten, Führungskräfte werden gebraucht – und wie viele davon stehen immer ausreichend schnell zur Verfügung. Die demographische Entwicklung (zu wenig Kinder) wird das Problem noch verschärfen!
Die weitaus meisten Einsatzkräfte sind im Verhältnis zu den Aufgaben, die wir in der Feuerwehr seit Jahrzehnten übernommen haben, viel zu schlecht ausgebildet. Dies gilt auch – und vor allem (!) – für die Führungskräfte. Es ist aber völlig unmöglich, ca. eine Million „aktive“ Angehörige der deutschen Feuerwehren den Anforderungen gemäß in den bestehenden Strukturen sinnvoll aus- und fortzubilden.
Lieber mehr entsprechend aus- und fortgebildete sowie gut ausgestattete Einsatzkräfte an weniger Standorten, als (zu!) viele Standorte mit zwar vielleicht „auf dem Papier“ mehr, tatsächlich aber zu wenig sinnvoll nutzbaren Einsatzkräften.
Zu viele Aufgaben an einem Standort sind kontraproduktiv. Weder kann die notwendige Ausbildungszeit je Einsatzkraft aufgebracht werden, noch reicht der Zeitansatz für die mindestens ebenso wichtige Fortbildung. Außerdem kommt es unweigerlich bei Großeinsätzen oder Einsatzhäufungen zu Aufgabenüberschneidungen, die nicht mehr auszugleichen sind.
Überforderung ist genauso demotivierend wie Unterforderung. Den Allround-Feuerwehrangehörige gibt es schon lange nicht mehr. Sinnvolle Spezialisierung und Verteilung von Sonderaufgaben auf einzelne Gruppen, Teams oder auch Standorte sind die einzige Lösung.
Mehr Technik erzielt noch lange keine besseren Ergebnisse. Es ist leider seit einiger Zeit zu beobachten, dass aufwendigste technische Einzellösungen vermehrt auch ohne taktisches Grundkonzept realisiert werden. Ein aufwendigeres = teureres Fahrzeug nutzt aber nichts, wenn das Personal nicht in der Lage ist, es richtig einzusetzen. Sei es aus mangelnder Ausstattung, ineffizienter Taktik oder einfach fehlender Ausbildung.
Kompliziertere Technik ist oft sogar kontraproduktiv für die Steigerung der Qualität (oder auch nur deren Erhalt) in der Gefahrenabwehr. Dies ist mit hoher Wahrscheinlichkeit der Fall, wenn aufgrund der Komplexität der Technik die Ausfallzeiten und -kosten stark steigen.
Neue Fahrzeuge ersetzen weder ein Führungs- noch ein Kommunikationskonzept oder gar die notwendige Persönliche Schutzausrüstung. Mit anderen Worten, wer CAFS-Anlagen in Neufahrzeugen beschafft, aber gleichzeitig über zuwenig Schutzkleidung oder 2m-Funkgeräte verfügt, muss sich fragen lassen, ob er knappe Mittel richtig einsetzt.
Steigende Investitionskosten je Stück führen bei stagnierendem – oder gar sinkendem - Budget unweigerlich zu sinkenden Stückzahlen in der Beschaffung. Die derzeit ausufernde Variantenvielfalt führen zu noch höheren Stückkosten – und damit erneut zur Stückzahlreduzierung.
Außerdem weisen alle Erfahrungen der letzten Jahre darauf hin, dass die Fahrzeuge bei weitem nicht mehr so lange genutzt werden können, wie vor 20 oder 30 Jahren. Sie müssen also bei stark steigenden Preisen auch noch früher ersetzt werden.
Dies führt unweigerlich zur „Aushungerung“ der Standorte, für die man sich die Preise nicht länger leisten kann oder will.
Mehr ausfallsichere, technisch „konservative“, preiswertere Fahrzeuge, die – inklusive technischer und taktischer Reserven - im Verbund vorgehalten werden und gemeinsam (ggf. mit Sonderfahrzeugen) zum Einsatz kommen sind sinnvoller, als wenige hochgezüchtete und mit Aufgaben bzw. Einbauten überfrachtete Fahrzeuge, die zu oft das nicht halten können, was man sich davon erwartet hat.
Einzelne Showobjekte auf großen Messen mögen als „Eye-Catcher“ für eine Marke zwar einen gewissen Effekt haben. Leider kann sich dieser sehr schnell ins Negative umkehren, wenn das Showobjekt sich als Millionengrab entpuppt. Viel, oft noch zugekaufte und i.d.R. auch nicht unproblematische, Technik in Fahrzeuge einzubauen, ist wenig sinnvoll für die Gewinnmaximierung eines mittelständischen Aufbauunternehmens. Wertschöpfung funktioniert nur über selbst erbrachte konstruktive und bauliche Arbeitsleistungen, die auch am Markt zu wirtschaftlichen Preisen absetzbar ist.
Fahrzeuge in beherrschbarer Technologie, damit besserer Qualität, ausgebaut in eigener Regie in jeweils höheren Stückzahlen und damit geringeren Stückkosten, bringen den Anwendern mehr Nutzen und den Unternehmen mehr Gewinn, als Einbauten von technisch aufwendigen Zukaufteilen in weniger (und teure) Exoten-Fahrzeuge.
Fazit:
Masse statt Klasse darf nicht das Motto der deutschen Feuerwehr lauten!
Gefahrenabwehr gehört zu den nicht produzierenden Stellen in einer Volkswirtschaft. Jeder Euro, der in der Gefahrenabwehr verbraucht wird, muss zuerst erwirtschaftet werden. –Nutznießer einer gut ausgebauten und effizienten Gefahrenabwehr (Bevölkerung, aber auch das Gewerbe) werden diesen Beitrag solange gern über das Steueraufkommen zahlen, solange nicht Zweifel an Quantität, Qualität bzw. Effektivität bestehen.
Es gelten auch künftig folgende Basis-„Weisheiten“:
- Es ist effizienter, knappe Ressourcen sinnvoll zu nutzen. Knappe Ressourcen sind finanzielle Mittel und es wird in Kürze auch dort das Personal sein, wo es das nicht jetzt schon ist!
- Die Qualität von Einheiten im Einsatz hängt in erster Linie nicht von der mitgeführten Wassermenge oder komplizierter bzw. „aktuellster“ Technik ab, sondern vom gut ausgebildeten und motivierten Einsatz- und Führungspersonal sowie vom taktisch sinnvollen Einsatz von Personal und Material.
- Gut ausgebildetes und funktionell ausgestattetes Einsatzpersonal ist immer auch gut motiviert.
Wenn wir uns unangenehmen Wahrheiten nicht langsam selbst stellen, dann wird man uns noch viel unangenehmere Fragen schneller stellen als uns lieb ist.
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mit privaten und kommunikativen Grüßen
Cimolino
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| 21.08.2008 09:14 |
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